Der Zauberberg, oder: vom Vergnügen des zweiten Lesens

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Es dürfte etwa 20 Jahre her sein, dass ich Thomas Manns „Der Zauberberg“ zum ersten Mal gelesen habe. Seitdem sah ich lediglich eine gelungene Bühnenfassung am Maxim-Gorki-Theater. Der Roman hat immerhin fast 1000 Seiten. Jedes Jahr kommt viel neue, manchmal durchaus lesenswerte Literatur hinzu. Jetzt habe ich aber meine Taschenbuchausgabe mit dem stark durchgebogenen Buchrücken wieder hervorgekramt. Schuld daran ist eine Ausstellung in München.

Die Schau „Tod und Amüsement. Thomas Mann: Der Zauberberg“ im Literaturhaus (bis 26. Juni 2016) schafft zweierlei: Sie macht denen Appetit, die den Jahrhundertroman noch nicht kennen, und sie gibt den anderen Anstöße zur Zweitlektüre. Außerdem ist der Gang durch die vier Räume schlicht auch aus ästhetischer Sicht ein Vergnügen.

Mit Ausstellungen über Literatur ist es ja immer so eine Sache. Der eigentliche „Gegenstand“ ist ein Buch oder ein Manuskript und damit ein denkbar unattraktives Exponat, wenn es sich nicht gerade um das Evangeliar Heinrich des Welfen handelt. Die Kuratorinnen (hier: Karin Becker und Karolina Kühn) müssen möglichst viel vom Ausstattungsstücke aus der Romanhandlung herbeischaffen, um dem Besucher die Schwingungen des Textes nahezubringen.

Das gelingt im Literaturhaus München hervorragend, was sicher auch der geschlossenen, bis in das kleinste Detail beschriebenen Welt von Thomas Manns Zauberberg zu verdanken ist. Wir Besucher erfahren etwas über Lage und Ausstattung des Sanatoriums, dürfen eine Original-Patientenliege betrachten, uns auf einem Nachbau sogar selbst hinlegen und in die Berge blicken. Wir sehen medizinische Geräte aus der Lungenheilkunde der damaligen Zeit und sind ganz nebenbei dem Hergott dankbar, dass wir heute leben. Wir sehen, wie sich die Kranken zerstreuten und – als Lungenkranke! – nach Herzenslust rauchten. Wir geraten am Ende der Ausstellung wie Hans Castorp in einen (mit Videotechnik auf einen weißen Vorhang) projizierten Schneesturm und stehen vor einem hölzernen Grabkreuz vom Davoser Friedhof.

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Natürlich wird die Schau auch dem literturgeschichtlichen Ernst der Sache gerecht. Es wird herausgearbeitet, wer die Vorbilder der Figuren Settembrini und Naphta waren. Auch erfahren wir, wie sehr sich (Literaturnobelpreisträger) Gerhart Hauptmann darüber ärgerte, dass er in dem Roman von (Literaturnobelpreisträger) Thomas Mann in der Figur des Mynheer Peeperkorn parodiert wurde.

An der Kasse verkaufen sie sogar eine Taschenbuchausgabe des Zauberberg. Ich hatte das nicht nötig, stand der Roman doch schon bei mir im Bücherregal. Nun bin ich bereits wieder auf Seite 100 angelangt. Klar, ich weiß wie es ausgeht. Aber auch das hat seinen Reiz. Die Fahrt des Hans Castorp in die Alpen lese ich nun mit anderen Augen. Ich warte, wann und wie die schöne Clawdia Chauchat in Erscheinung tritt. Ich freue mich schlichtweg über den Humor von Thomas Mann in der Beschreibung von Menschen (so etwa des Vereins Halbe Lunge).