Man kann das gerade eben veröffentlichte „Berliner Journal“ von Max Frisch auf ganz verschiedene Weise lesen. Als Geheimdokument,…
…das auf Anweisung des Tagebuchschreibers bis 20 Jahre nach seinem Tod im Tresor liegen musste und wegen der „privaten Sachen“ erst danach veröffentlicht werden durfte. Wer das tut, der erfährt Näheres über die Beziehungen Max Frischs zu Günter Grass, Uwe Johnson, Jurek Becker, Alfred Andersch, Hans Magnus Enzensberger. Interessant: Frisch beklagt sich immer wieder darüber, dass er mit den Kolleginnen und Kollegen so wenig über das Handwerk des Schreibens reden kann.
Es ist aber auch die Dokumentation eines alternden Schriftstellers, der sich immer wieder fragt, ob und was er denn überhaupt noch schreiben wird. Das liest sich dann so: „Es gelingt mir fast gar nichts. Täglich sechs bis acht Stunden schreibend, ein hohes Vergnügen dabei. Meistens brauche ich es nicht einmal wiederzulesen, um zu wissen, dass alles unbrauchbar ist.“
Es ist aber auch ein Stadtführer, mit dessen Hilfe man Berlin abklappern kann. Das Berlin der 70er Jahre, versteht sich. Frisch hielt sich 1973 hier auf. Er bezog mit seiner Frau eine Wohnung in Friedenau, das damals eine Schriftstellerkolonie war. Kein Wunder, dass der erste Satz des Tagebuches heißt: „Übernahme der Wohnung (Sarrazin Strasse 8) und Abend bei Grass. Nieren.“ Diese Orte kann man heute noch aufsuchen – das Grass´sche Hexenhäuschen, das eher prächtige Mehrfamilienhaus von Frisch (siehe Fotos unten).
Wir sind dabei, wenn die Frischs um den Schlachtensee spazieren. Wenn der 62jährige Schrifsteller am Breslauer Platz fast von einem Steinbrocken erschlagen wird, der sich von einer Hausfassade gelöst hat. Er denkt: „Ein Unfall, ohne Beschädigung andrer, ein natürlicher und nicht herausgeforderter Unfall wäre das beste.“
Wenn er Ost-Berlin besucht und dabei versucht, aus den Kolleginnen und Kollegen schlau zu werden, die er dort trifft. Wir sind auch dabei, wenn er begeistert ausruft: „Strassen in Berlin und seine Kneipen, sein Wannsee, seine Kiefern, sein nordischer Himmel, die eine und andere U-Bahn-Station; die Patina, die dieser Stadt hat (…)“
Max Frisch, Aus dem Berliner Journal, Suhrkamp Verlag, 233 Seiten, 19,80 Euro.
- Zwei Brillen, die Max Frisch trug
- Ein Tagebuchauszug (Faksimile aus dem Buch)
- 20 Jahre lang im Tresor
- Hier wohnte Max Frisch in Berlin
- Schauplatz des ersten Eintrages: „Abend bei Grass. Nieren.“
- Die Ausstellung zum 100. Geburtstag
Hab`s gerade gelesen und war als alter MF-Fan wieder begeistert, welch großer Fragensteller Frisch war und wie wunderbar er andere Personen in ihrer Widersprüchlichkeit beschreiben konnte. Günter Grass hat er ohne wirkliche Boshaftigkeit schon vor 35-40 Jahren als den aufmerksamkeitssüchtigen Inalleseinmischer wahrgenommen, als der sich GG spätestens mit seinem Israel-Gedicht später selbst entlarvt hat. Gruß HPK
Stimme Dir zu. Und ergänze: wie sehr er auch ein großer Fragensteller sich selbst gegenüber und ein Beschreiber der eigenen Widersprüchlichkeiten war. Das findet man nun wirklich nicht bei allen Schriftstellern. Schade, dass Du die große Frisch-Ausstellung zum 100. Geburtstag nicht hast sehen können. Harry
Manchmal, ganz selten, gibt es großartige Ausstellungen schon in Bayern zu sehen, bevor sie zu euch in die Hauptstadt kommen. Im Fall Max frisch war das so. 2011 wäre er 100 geworden, 2011 war die Ausstellung im Literaturhaus München zu sehen. Und ich war dort.
Das freut mich. Ich hoffe, dass die Ausstellung auch irgendwann in der Schweiz Station gemacht hat.