Dance the Bürgeramt

Ein trister Morgen im Bürgeramt von Wedding. Schon 30 Minuten vor der Öffnung standen erste Antragsteller vor der Türe, um beim Nummernziehen vorne dran zu sein. Nun sitzen sie auf den Metallstühlen und warten auf ihren Termin. Aber da, was ist das? Ein zunächst kaum vernehmbares, dann immer lauter werdendes Prasseln. Wie Regentropfen.

Dann verwandelt sich der Warteraum schnell. Drei Frauen und ein Mann, die man bisher für Bürgeramts-Kunden halten konnte, erheben sich von ihren Plätzen inmitten des Publikums. Sie gehen die Gänge auf und ab. Mal langsamer, mal schneller. Jede(r) bewegt dabei ein Glas /eine Dose mit Reiskörnern oder Glasmurmeln. Diese Geräuschkulisse wird nur ab und zu vom Amtsgong unterbrochen, der den nächsten Nummerninhaber zum Beratungsplatz ruft. Immer mehr erobern sich die Tänzerinnen den Raum, tanzen um die Türen zu den Beratern herum, hangeln sich mit vereinten Kräften nach oben in Richtung Decke, verwickeln ihre Körper zu Gebilden aus acht Beinen, acht Armen und vier Köpfen.

„Dance Poetry“, so heißt die Tanz-Performance-Reihe, die Choreographin Canan Erek an Berliner Bürgerämtern eingeführt hat. Kurze Unterbrechungen der tristen Warterei, kaum länger als zehn Minuten. Aber warum ausgerechndet hier? Wo keine Kunst-Aficionados anzutreffen sind, sondern viele Menschen, die noch nie etwas von modernem Tanztheater gehört haben. Wo manche die Akteure sogar offen auslachen.

Genau das ist der Reiz. Tanztheater auf der Bühne, das schafft oft keine Irritationen mehr, ist eben einer von vielen Kulturgenüssen der Metropole Berlin. Hier, im Bürgeramt, wird Tanztheater zur echten Intervention im Alltag der Menschen. Bisher hat Canan Erek mit ihrer Company schon die Bürgerämter in Neukölln, Schöneberg, Pankow, Friedrichshain, Kreuzberg und Wedding (siehe Fotos) bespielt. Es gibt also noch ein paar Warteräume, in denen sie produktive Unruhe stiften können.

Mitwirkende: Canan Erek (Regie), Alessandra Defazio, Raffaela Galdi, Jung Sun Kim, Yannis Karalis (Tanz)