Zunächst mal ist es ein wenig gewöhnungsbedürftig. Man meldet sich via Internet für eine Lesung an, überweist seine 18 Euro Eintrittsgebühr und erhält eine Adresse, von mir aus: Elberfelder Straße 197a, III. Stock links, bei Pfannschmidt klingeln. Dann steht man da. Und soll bei Pfannschmidts klingeln. Obwohl man sie überhaupt nicht kennt. Auf ihrem Wohnzimmersofa sitzen, ihren Wein trinken und einem Schriftsteller zuhören.
Das ist aber nun mal das Prinzip der Veranstaltungsreihe „Literatur in den Häusern der Stadt“ und von daher nicht zu vermeiden. Literaturinteressierte, Autoren und großherzige Besitzer von tanzschulartig formatierten Privatwohnungen kommen hier zusammen. Die einen zahlen und hören brav zu, die anderen lesen und die dritten sehen darüber hinweg, wenn ihr Parkettboden ein wenig mehr als üblich strapaziert wird.
Ich habe mir – nacheinander – zwei Gastgeber und zwei Autoren ausgesucht. Jan Peter Bremer („Der amerikanische Investor“) und Abrecht Selge („Wach“). Bremer las im Stadtteil Prenzlauer Berg, Selge in Schöneberg. Beide Male – ich konnte es kaum fassen – wurde ich von den Wohnungsbesitzern so freundlich begrüßt, als sei ich ein alter Bekannter von ihnen. Dabei hätten sie wirklich Grund genug gehabt, sich um ihre attraktiven Wohnungen zu sorgen. Überall Kunstwerke, hier ein Flügel, dort eine Skulptur aus Holz. Gegenstände, an die man normalerweise Fremde nicht so gerne heran lässt.
Bringt es überhaupt etwas, nicht in der Stadtbibliothek oder im Nebenzimmer eines Gasthauses zu lesen (und zu hören)? Ja, unbedingt. Es ist eine weit intimere Begegnung mit der Literatur, als das an öffentlichen Orten stattfinden kann. Hier öffnen sich alle drei: der Autor, der Gastgeber, der Zuhörer. Jeder verlässt seine eingeübte Rolle und es kommt ein neues Nachdenken über Literatur zu Stande. Insbesondere dann, wenn die Autoren auch noch die Zustände/Umstände in der Hauptstadt beschreiben, wie das Bremer und Selge in ihren Roman tun. Wenn von den Besonderheiten einer Berliner Altbauwohnung die Rede ist und man sitzt gerade in einer solchen Berliner Altbauwohnung, dann wirkt der Texte eben noch stärker.
Beides sind übrigens starke, einprägsame Geschichten: Bremer schildert, wie ein Schriftsteller von der Figur eines amerikanischen Investors, der sein Mietshaus gekauft hat, so besessen ist, dass er an nichts anderes mehr denken kann. Selge beschreibt das vom schnöden Alltag immer mehr davon driftende Schicksal des Einkaufscenter-Managers August Kreuzer.
- Albrecht Selge beim Signieren.
- Die beiden Titel des Abends – erst am Prenzlauer Berg, dann in Schöneberg.
- Jan Peter Bremer nach seiner Lesung in einer Privatwohnung.
- Albrecht Selge liest in einer Privatwohnung.
- Wenn man sich Literatur erarbeiten muss.
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