So etwas macht man wahrscheinlich nur einmal im Leben. Zwölf Stunden Oper an einem Tag (inclusive Pausen, immerhin). Dagegen sind Wagnerianer mit ihren fünf, sechs, sieben Stunden Aufführungsdauer pro Tag nur müde Krieger. Barrie Kosky ist schuld. Der neue Intendant der Komischen Oper wollte zu seinem Einstand gleich drei Monteverdi-Opern an einem Tag aufführen: Orpheus, Odysseus und Poppea. Ich habe den Selbstversuch gewagt. Ein Protokoll.
10.40 Uhr: Noch schnell eine Tasse Kaffee, bevor es los geht. Ich gebe zu: Ich habe ordentlich Respekt vor der Sache. Marathongedanken: Werde ich auf halber Strecke schlapp machen? Habe ich die richtigen Schuhe an? Stimmt der Spirit? Erlebe ich mein Formtief vielleicht erst während der dritten Oper und dafür umso schlimmer?
11.00 Uhr: Orpheus. Eine der schönsten Operninszenierungen, die ich bisher erlebt habe. In 130 Minuten schaue ich nur ein einziges Mal auf die Uhr. Vor mir auf der Bühne ein Urwald mit Feen und Faunen. André de Ridder, der musikalische Leiter alle drei Inszenierungen, hat seine Musiker nicht nur im Orchestergraben, sondern auch auf den Balkonen und in den Seitengängen postiert. Dem entsprechen Bühnenbild und Regie: Plötzlich schwirren Vögel an langen Angeln über den Köpfen des Publikums. Ein Puppenspieler führt Figuren von 20, 30 Zentimetern bis zu drei Metern Größe über die Bühne. Grandios.
13.10 Uhr: Wir erhalten gut eine Stunde Freigang. Wenn es nach mir ginge, wäre das nicht nötig. Der Orpheus hat mich so begeistert, dass ich ihn mir auch noch einmal von vorne angesehen hätte.
13.15 Uhr: Die Gastronomie der Komischen Oper fährt schweres Geschütz auf. Tortellini mit Zitronensauce, Kartoffelsuppe, Lachshäppchen. Ich nehme eine Linsensuppe und ein Pils. Das Pils erst nach langem Überlegen, denn ich will mich ja nicht vorsätzlich sedieren.
14.30 Uhr: Odysseus. Ein totaler Kontrast zur vorherigen Aufführung. Die Geschichte um den nach langer Wanderschaft heimkehrenden Odysseus ist denkbar sparsam inszeniert, dicht an der Grenze zu einer konzertanten Aufführung. Das verstehe ich nicht ganz, wie man als Regisseur erst aus dem Vollen schöpfen und dann so geizig mit den Bildern sein kann.
16.45 Uhr: Jetzt ist es passiert! Sekundenschlaf. Offensichtlich geht es nicht nur mir so. Wenn ich mich umsehe, dann entdecke ich einige, die verdächtig tief in ihre Opernsessel eingesunken sind. Da hilft nur ein ständiges Umbetten des geschwächten Körpers.
17.30 Uhr: Odysseus und Penelope haben nun doch zusammen gefunden, Oper zwei ist aus. Großartige Sänger, großartige Musiker, aber leider nur wenige packende Bilder. Am Ende war man als Zuschauer ein wenig versucht, auf die Bühne zu springen und den Fortgang der Dinge etwas zu beschleunigen.
17.45 Uhr. Der zweite Kaffee und ein Schokoladentörtchen. Verschämte Dehnübungen in einer stillen Ecke des Opernhauses.
19.00 Uhr:Die Oper drei, Poppea, beginnt. Die schwierigste Handlung. Orpheus´ Gang in die Unterwelt kennt fast jeder, Odysseus´ Heimkehr nach Ithaka ebenfalls. Aber Poppea? Das ist die Liebhaberin von Kaiser Nero, die sich zu seiner Ehefrau hochintrigiert. Eine fast schon mozart´sche Verwirrgeschichte um Liebesfreud und Liebesleid zwischen zwei Männern und drei Frauen. Warum Barry Kosky die beiden alten Ammen, die in Poppea vorkommen, von männnlichen Darstellern singen lässt und ihnen ein Auftreten wie das von Peter Alexander in Charleys Tante verordnet, ist mir ein Rätsel.
21.00 Uhr: Die letzte Pause. Den Rest würde wahrscheinlich sogar ein Opernhasser überstehen. Ich bin in einer besseren Verfassung als vermutet und darf auf das Finisher-T-Shirt hoffen. Oder gibt es das hier gar nicht?
23.20 Uhr: Die Oper ist aus. Mein Rücken sagt zu mir: Du spinnst. Zum Glück wartet zu Hause eine Dose Pferdesalbe.
Hat sich die Sache gelohnt? Gut, ich habe nun etwas zu erzählen. Eine innere Notwendigkeit, alle drei Opern an einem Tag zu sehen, gibt es nicht. Sehr wohl aber gibt es eine Notwendigkeit, sich den Orpheus anzusehen. Die nächsten drei Möglichkeiten: 19. Oktober und 4. November 2012 und 5. Juli 2013 an der Komischen Oper.
- Eine Szene aus Orpheus
- 11 Uhr: Zu Beginn des Montiverdi-Tages
- In der Pause: Füße hoch
- In zwölf Stunden hat man viel Zeit, das Programmheft zu lesen
- Frühstück: eine Tasse Kaffee
- Das Bühnenbild von Odysseus
- 23 Uhr: Am Ende des Monteverdi-Tages
- Mittagspause: Linseneintopf
MITWIRKENDE:
eine schöne Dokumentation!