Wer schon immer wissen wollte, wie die Finanzkrise tickt

Das Himbeerreich

Nichts hat die Welt in den vergangenen vier, fünf Jahren so erschüttert wie die Finanzkrise. Zeit, dass sich auch die Kultur dieses Themas annimmt. Sie hat es getan – mit durchwachsenem Erfolg.

Das Deutsche Theater (und zuvor das Schauspiel Stuttgart) präsentieren die Uraufführung des Stückes „Das Himbeerreich“ von  Andreas Veiel. Der Autor, als Dokumentarfilmer bekannt, ist sehr viel dafür gelobt worden, dass er mit Dutzenden von Bankern gesprochen hat, daraus Tausende von Manuskriptseiten entstanden und am Ende ein Theaterstück als Kondensat. Und so sieht der Abend auch aus. Die sechs Schauspieler sprechen nicht miteinander, sondern sagen ihre Texte in Richtung Publikum auf, eine Handlung gibt es nicht und ein Bühnenbild eigentlich auch nicht mit Ausnahme zweier beeindruckender gläserner Aufzüge.

Aber das Verfassen eines Dramas ist leider keine Fleißaufgabe. Es bleibt beim Zuschauer wenig mehr hängen als einige entlarvende Sätze der Bankmanager, die man so ähnlich auch schon in journalistischen Reportagen gelesen hat. Man lernt: Es gibt wenige komplett rücksichtslose Vorstände , die in etwa so sensibel sind wie ein Mafia-Boss. Und es gibt eine Mehrheit, die zwar ein schlechtes Gewissen hat, wenn ihre Firma ein Paket Lebensversicherungen von Todkranken aufkauft oder hochriskante Fusionen eingeht, die aber trotzdem mitmacht, um Job und Geld und Dienstvilla nicht zu verlieren.

Am Ende des Stücks sind sie dann doch alle entfernt worden von ihren Chefposten, auch wenn manche den Vorstandsbürosessel in ihr schäbiges Abschiebekämmerchen mitnehmen durften. Einzige wirkliche dramaturgische Rafinesse ist die Figur des Chauffeurs. Der einzige Normale in dem irren Spiel ums Geld. Derjenige, der alles mitbekommt, was auf dem Rücksitz der Limousinen so alles besprochen wird. Und der den Zuschauern das immer wieder erklärt. Unter ihnen übrigens: eine ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages, eine ehemalige Kulturstaatsministerin und die amtierende Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag.

holtrop 001Sowohl in Stuttgart als auch in Berlin ist „Das Himbeerreich“ über Wochen hinweg ausverkauft. Nicht traurig sein deswegen! Lieber in die Buchhandlung gehen und den Roman „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz kaufen. Kostet auch nicht mehr als eine Theaterkarte. Das ist eine wirklich packende, treffende Geschichte über unsere Wirtschaftsführer- eine mit Anfang und Ende und einer Handlung dazwischen. Wir erleben den Aufstieg und Fall des Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop mit – die Machtkämpfe der Vorstände, den Autismus der Bosse, die Substanzlosigkeit vieler Geschäftsabschlüsse, die Stammesrituale in den besseren Kreisen. Man merkt: Auch Goetz hat viel recherchiert, aber er hat zusätzlich noch eine Story gefunden.

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