Bitte Vorsicht an der Bahnsteigkante! Die Neue Musik fährt ein.

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Gibt es etwas Ungünstigeres als einen wuseligen Hauptstadtbahnhof, um anspruchsvolle Gegenwartsmusik zu hören? Genau diese Musik also, die mit starken Modulationen arbeitet. Die oft so leise ist, dass man sie selbst in einem bestens dafür geeigneten Konzertsaal wie der Berliner Philharmonie manchmal kaum wahrnehmen kann?

Im Prinzip ist das eine schlechte Kombination. Aber die Veranstalter des Festivals „Ankunft: Neue Musik“ sehen das viel lockerer. Sie finden es besonders reizvoll, auf einem unberechenbaren Klangteppich zu arbeiten. Da hört man während des Konzerts schon mal die Trillerpfeife des Schaffners, da dringt das Türschließsignal der S-Bahn zur improvisierten Bühne, da werden die Reisenden aufgefordert, ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt herumstehen zu lassen.

In diese Geräusche hinein, gegen diese Geräusche und mit diesen Geräuschen treten bis 7. September einige Dutzend Sänger und Musiker auf. Sie müssen es dabei schon auch mal ertragen, dass ein eiliger Reisender mit seinem Rollkoffer einen Meter an ihnen vorbei schrammt. Wen das stören würde, der darf erst gar nicht kommen zu dieser Konzertreihe der Zeitgenössischen Oper Berlin.

Wer eine der Veranstaltungen im Berliner Hauptbahnhof besucht (keine Reservierung, kein Eintrittspreis), der kann wahrhaft surreale Momente erleben. Etwa das früh um sechs Uhr dargebotene Stück Charavagi (Morgendämmerung) der Komponistin Calliope Tsoupaki mit der Flötistin Susanne Fröhlich. Oder das Nostalgie-Videokonzert mit Christiane Hommelsheim und Stella Veloce (siehe Fotos). Das E-Cello Stella Veloces dringt noch in weit entfernte Bahnhofsecken. Die geniale Stimme Christiane Hommelsheim (mal deutsch, mal englisch, mal französisch, mal in einem fesselnden Singsang ohne erkennbare Worte) vermag selbst flüchtige Reisende zu fesseln, die eigentlich etwas anderes im Sinn haben als moderne E-Musik.

Einer der Höhepunkte des Festivals ist die Aufführung von verschiedenen Sequenzen aus dem Musiktheater „Sphenoid Fragment“ der Zeitgenössischen Oper. Das kann man dann im Oktober auch noch mal am Stück und ganz in Ruhe in der Berliner Parochialkirche hören.

Die Verantwortlichen: Andreas Rochholl – Idee und künstlerische Leitung, Susanna Poldauf – Programm und Produktion, Daniel Weingarten – Tonregie. Einige der Künstler: Benedikt Bindewald, Christiane Hommelsheim, Jie Rui Zhang, Kinneret Sieradzki, Lisa Tjalve, Rilli Willow, Stella Veloce, Susanne Fröhlich, Zoé Cartier

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