Man müsste sich über Nacht einsperren lassen im Berliner Bode-Museum. Nur ein einziges Mal. Warum? Weil es dann die einzigartige Gelegenheit gäbe, eine ganze Reihe von Charakterköpfen in der Dämmerung, im spärlichen Restlicht der Nacht und im Morgengrauen zu studieren. Sie wirken bestimmt jedes Mal anders auf den Betrachter.
Ein ganzer Saal nur mit Werken des Bildhauers Tilman Riemenschneider (*1460, +1531)! Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen, die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, musizierende Engel, der heilige Erasmus, die Muttergottes, Gottvater. Fast das ganze himmlische und irdische Personal der Heilsgeschichte versammelt sich da. So viel Riemenschneider gibt es außer in Würzburg und im bayerischen Nationalmuseum in München wohl nur auf Ebene zwei des Bode-Museums. Erst 2007 ist die jüngste Gruppe dazu gekommen – die heilige Anna mit ihren drei Ehemännern. Das war der bedeutenste Ankauf des Museums in der Nachkriegszeit.
Abenteuerlich die Wege, auf denen die Skulpturen und Reliefs schließlich nach Berlin gelangt sind. Ursprünglich waren sie fast alle in Kirchen zu Hause – in Münnerstadt am Fuße der Rhön, in Rothenburg ob der Tauber, in Heroldsberg. Dann gelangten sie in die Hände von Mussen und Sammlern, die sie – häufig gegen Ende des 19. Jahrhunderts – in die deutsche Hauptstadt verkauften. Die bereits erwähnte Anna (die dazugehörigen Männer heißen Joachim, Kleophas, Salomas) war zwischenzeitlich Gast am russischen Zarenhof gewesen und hatte sich auch in Privatbesitz befunden. Schon 1929 hatte die Sowjetregierung den Berlinern die Gruppe angeboten. Doch damals hatte man kein Geld dafür. Vor fünf Jahren glücklicherweise schon. (Fotos: Harald Baumer)
- Matthäus
- Johannes
- Lukas
- Gottvater
- Matthias
- Markus
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