Im Strafrecht ist der Tatbestand nicht vorgesehen. In meiner eigenen kleinen Welt hingegen schon. Das Delikt heißt Applausdiebstahl und wird jeden Abend in Deutschland tausendfach begangen.
Ich meine damit nicht die Menschen, die den Schauspielern den Beifall verweigern, weil ihnen die Vorstellung nicht gefallen hat. Das ist ein hartes, aber durchaus vertretbares Urteil über eine miserable schauspielerische Leistung. Nein, ich meine diejenigen, denen es nur um fünf Minuten Zeitersparnis geht. Sie wollen schneller in der Tiefgarage, der U-Bahn oder dem Restaurant sein und springen unmittelbar nach dem Fallen des Vorhangs (heute weit häufiger: dem Ausgehen des Bühnenlichts) von ihren Sitzen auf. Erster am Ausgang sein, darauf kommt es ihnen an. Da hat man gerne auch schon mal seit der Pause den Mantel auf dem Schoß liegen, um keinen Boxenstopp an der Garderobe einlegen zu müssen.
Geschädigt werden damit so ziemlich alle anderen. Die Schauspieler sowieso, die sich für ihr Publikum ins Zeug gelegt haben und dafür nicht in jedem Falle gut bezahlt werden (siehe „Das Projekt bin ich“). Aber auch die anderen Zuschauer, die den Abend gerne mit ein wenig Beifall für die Akteure ausklingen lassen. Statt dessen müssen sie erleben, wie sich die Applausdiebe an ihnen vorbei durch die Sitzreihen quetschen. Bei etwas korpulenteren Applausdieben ist das eine aufwändige Angelegenheit. Da wird mit rotem Kopf – weil´s einem ja doch etwas peinlich ist – gerempelt und geschubst und während des Gehens pro forma noch ein wenig geklatscht.
Nur Notärzte im Einsatz, Passagiere des letzten Busses an diesem Abend und Zuschauer, denen schwindlig geworden ist, haben jedes moralische Recht, den Saal jederzeit zu verlassen.
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Traurigerweise verlassen aber nie die Penetrant-Huster, Bonbonpapier-Raschler oder Trompeten-Nieser verfrüht die Sitzreihen. Diese Spezies der Akustik-Diebe beglückt alle Beteiligten bis zum bitteren Ende.
Das stimmt leider. Wäre auch mal zu überlegen, wie viele Mehrfachtäter es gibt, die gleichzeitig Bonbonpapierraschler, Applausdiebe und Handyfotografierer sind.